Kriegsopferdenkmal

Auf den Spuren des Jean-Paul Michau
Der Camino de Santiago- ein uralter Pilgerpfad, der von Saint Jean pied-de-Port die Pyrenäen überquert und durch die trockene und wilde Schönheit der spanischen Landschaft bis nach Santiago verläuft. 779 Kilometer. Auf diesem Weg kommt es immer wieder zu wundersamen Begegnungen. Menschen, die einander zum ersten Mal begegnen und Lebensgeschichten miteinander teilen, die tief bewegen.
Solch eine Erfahrung machte auch Klara Walther aus Breucha, als sie sich im Juni 2024 auf dem Weg befand. Hier traf sie auf Jean-Rémy Michau, einem 73-jährigen Monsieur aus der Region Auvergne-Rhône-Alpes / Frankreich.
Trotz unterschiedlicher Etappenlänge begegneten sie sich immer wieder unterwegs und so kam es, dass Jean-Rémy Michau vertrauen fasste und ihr von seinem Schmerz erzählte.
Als Namensträger seines verstorbenen Onkels Jean-Paul war es ihm ein Bedürfnis herauszufinden, wo sich der letzte Verbleib nach seinem Tod im zweiten Weltkrieg befand.

Jean-Paul Michau
Als französischer Kriegsgefangener verstarb Jean-Paul kurz vor Ende des 2.Weltkriges bei einem der Todesmärsche, während seine Angehörigen in Frankreich auch noch Jahrzehnte später in Ungewissheit über dessen letzte Ruhestätte lebten.
Klara Walther hörte ihm zu und sah, welche tiefen Wunden eine ungelöste Vergangenheit hervorrufen kann.
Als Sie nach Deutschland zurückkehrte, erhielt Sie einige Wochen später ein Kuvert mit Dokumenten und Unterlagen, die Jean-Rémy über seinen Onkel bereits zusammengetragen hatte.
So begann die Recherche nach dem Verbleib von Jean-Paul Michau, die schließlich nach Könnern führte.
Der Kontakt zur Stadtverwaltung Könnern / Friedhofsverwaltung wurde gesucht. Dabei stellte sich heraus, dass Jean-Paul Michau auf dem Friedhof in Könnern seine letzte Ruhestätte gefunden hatten, (geboren 11.03.1922 in Loches / Frankreich, ermordet am 13./14.04.1945 in Könnern)
Jean-Rémy Michau und Schwestern Claudine, Martine, Sylvette und Odile sind Neffe und Nichten von Jean-Paul Michau.
Über Frau Walther, welche hier auch als Dolmetscherin fungierte, entwickelte sich ein reger Informationsaustausch.
Jean-Rémy hatte den Wunsch aus Frankreich anzureisen und das Grab seines Onkels zu besuchen. Drei Schwestern wollten ihn begleiten.
Gemeinsam mit dem Bürgermeister Herr Zbyszewski, dem Bauamtsleiter Herr Brauns und der Mitarbeiterin der Friedhofsverwaltung wurde dies organisiert.
So kam es, dass am 12.03.2025 die Angehörigen von Jean- Paul Michau zusammen mit Frau Walther an dem Grab in Könnern Blumen ablegten und würdige Gedanken trugen.
Bei einer anschließenden Kaffeerunde kam es zum regen Gedankenausgetauscht. Dank der Übersetzung von Frau Walther konnten die sprachlichen Hürden genommen werden.
Es waren sehr angenehme Stunden, welche mit einem kleinen Rundgang durch Könnern und dem Besuch der Heimatstube endete. Hierbei erläuterte Herr Sander, Vorsitzender des Heimatvereines „St. Wenzel“, einige Details zu Könnern.
Wieder in Frankreich angekommen entstand der Wunsch einen Baum zu spenden und an dieses
“ Wiederfinden“ zu erinnern.

Blutflaume gepflanzt im Herbst 2025
Hier steht er nun, der „Baum des Gedenkens“ – ein Zeichen der Erinnerung, verbunden mit einer Botschaft von Jean-Rémy, seinen Geschwistern und Klara Walther.
Gedanken zu den geschichtlichen Fakten
Todesmarsch durch Könnern – April 1945
Im April 1945, kurz vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs, wurden Häftlinge eines Konzentrationslagers auf einen sogenannten Todesmarsch gezwungen. So zogen 13. und 14. April etwa 1.000 Gefangene auf ihrem Weg von Warmsdorf nach Dalena durch Könnern.
Die Häftlinge waren in mehreren Kolonnen unterwegs und wurden von SS-Wachen streng bewacht. Viele von ihnen waren entkräftet und konnten kaum noch weiterlaufen. Einige wurden unterwegs erschossen, in die Malzfabrik der Stadt Könnern gebracht oder einfach am Straßenrand zurückgelassen.
Wenige Tage später sammelten Einwohner von Könnern die Verstorbenen Unbekannten ein. Sie bestatteten die Toten würdevoll in einem Sammelgrab auf dem Städtischen Friedhof der Stadt.
Diese Ereignisse erinnern bis heute an das Leid der KZ-Häftlinge und mahnen uns, die Würde und das Leben jedes Menschen zu achten.

Von Nummern zu Namen – Die Geschichte hinter dem Gedenkstein
Als die Verstorbenen hier einst bestattet wurden, war über sie kaum etwas bekannt. Sie hatten keine Papiere bei sich – lediglich die Lagernummern konnten festgestellt werden. So blieben sie zunächst namenlos, ihre Identitäten verborgen hinter Zahlen, die nur auf ihr Leiden und ihre Anonymität verwiesen.
In den Jahren danach begannen engagierte Menschen, nach ihren Geschichten zu suchen. Durch aufwendige Recherchen in Archiven, Dokumenten und Zeitzeugnisse gelang es, viele der Nummern wieder zu Namen zu machen. Hinter jeder dieser Zahlen kam ein Mensch zum Vorschein – mit einer Familie, einer Heimat, einem Leben, das gewaltsam beendet wurde.
Diese Arbeit der Erinnerung brachte auch für viele Angehörige Gewissheit und ein Stück Frieden.
Die Ungewissheit vieler Angehöriger, die über Jahrzehnte bestand, fand endlich ein Ende.
Im Jahr 2012 wurde die Grabanlage neu hergerichtet und mit Namenskennzeichnungen versehen.
Der Gedenkstein steht heute als Zeichen der Würde und des Erinnerns – dafür, dass kein Mensch namenlos bleiben darf und dass jedes Schicksal zählt.
Gedenktafel mit den Namen der unschuldig ermordeten

Grabanlage auf dem Friedhof der Stadt Könnern
"Die Fügungen des Lebens sind oft unsichtbar. Doch manchmal, wenn zwei Wege sich kreuzen, kann selbst der längste Schatten der Vergangenheit endlich Licht finden"
Recherche, Text und Fotos: Sabine Siersleben, Peter Sander

